Freitag, 2. Juli 2010

Freiheitliche Aspekte der Demokratie

Freiheitliche Aspekte der Demokratie

von Prof. Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider*
«Des Menschen Würde ist in Eure Hand gegeben, bewahret sie», fordert uns Friedrich Schiller auf. Den Begriff der Würde hat Kant geprägt. Nach Kant ist die Würde des Menschen die Autonomie des Willens, dessen Freiheit (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Ed. Weischedel, Bd. 6, S. 63f.). Diese Freiheit ist die Grundlage jeder menschheitlichen Verfassung und damit des demokratischen Prinzips, aber auch des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes.
Die gegenwärtige Lage in Deutschland und Europa hat wenig mit Freiheit, wenig mit Demokratie und wenig mit Rechtsstaat zu tun. Diese Prinzipien wollen wir und sollten wir verwirklichen wollen, aber sie sind im Laufe der 60 Jahre, in denen das Grundgesetz massgebliches Verfassungsgesetz in Deutschland sein sollte, weitgehend verlorengegangen.
Freiheit des Bürgers
Viele beklagenswerte Entwicklungen der Politik und der Wirtschaft hängen mit dem Missverständnis des bürgerlichen Freiheitsbegriffs zusammen. Das Bundesverfassungsgericht hat nie zu der dem Grundgesetz gemässen, besser gesagt: der Menschheit des Menschen gemässen Freiheitslehre gefunden, obwohl es richtige Ansätze gab und gibt. Das ist auch ein Versagen der Rechtswissenschaft. Man will sich nicht zu dem, was im Grundgesetz steht, bekennen, weil das unerwünschte politische Konsequenzen hätte. Man müsste den Bürger als Bürger ins Recht setzen und könnte nicht mehr mit den Bürger genannten Untertanen so schalten und walten, wie es unklare und nicht geklärte Begriffe ermöglichen.
Freiheit kann man entweder republikanisch oder liberalistisch verstehen. Nur das republikanische Verständnis genügt dem Grundgesetz und im übrigen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ausweislich dessen Art. 1. Wir praktizieren aber eine liberalistische Verfassung, die Freiheit mit Freiheiten verwechselt, mit bestimmten durch Grundrechte geschützten Rechten, die der Politik entgegengesetzt werden können. Die Freiheitsrechte werden immer weiter eingeschränkt. Sie werden schmaler und schmaler.
Freiheit muss politisch verstanden werden als politische Freiheit, nämlich als das Recht, mit allen anderen Bürgern zusammen die Gesetze geben zu können. Freiheit ist, wie gesagt, die Autonomie des Willens. Der Freiheitsbegriff muss kantianisch interpretiert werden; denn das Grundgesetz ist ein durch und durch kantianisches Verfassungsgesetz. Das wollen die meisten Staatsrechtslehrer nicht wahrhaben. Die Definition des Freiheitsbegriffs in Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) beweist das dadurch, dass das Sittengesetz in die Freiheitsdefinition aufgenommen worden ist. Das ist ein Verdienst Carlo Schmids. Das Sittengesetz ist nichts anderes und kann im Kontext des Grundgesetzes nichts anderes sein als der kategorische Imperativ. Die meisten Rechtslehrer wissen davon nichts. Das Grundgesetz will eine aufklärerische Verfassung sein und muss das in der Gegenwart auch sein. Der kategorische Imperativ besagt in der deontischen Formel: Handle jederzeit nach einer Maxime, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz sei (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Bd. 6, S. 61, 66ff., 70f., 81f.). Das Grundgesetz hat uns nicht dem katholischen Sittengesetz verpflichtet, der Vielfalt von sittlichen Prinzipien, die sich in den Lehren der katholischen Kirche niedergeschlagen haben. Schon wegen des nicht zu leugnenden Religionspluralismus, den das Grundgesetz verfasst, kommt ein solches Verständnis nicht in Betracht. Die Religionsfrage ist das spannendste Thema unserer Zeit. Das Sittengesetz ist dieses bürgerliche Prinzip, das Prinzip, dass der Bürger, der frei ist, ein Bürger sein soll. Es fordert die Bürgerlichkeit des Bürgers ein, das heisst, der Bürger ist Gesetzgeber und soll das sein.
Die Republik, die demokratisch sein muss, ist die Staatsform der allgemeinen Freiheit. Die äussere Freiheit ist die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, die innere Freiheit ist die Sittlichkeit, die ohne Moral nicht zu erreichen ist. Kant hat das unüberholt gelehrt. Das zumeist gelebte liberalistische Verständnis der Freiheit verkennt diese innere Freiheit, die Sittlichkeit. Das Gesetz der Sittlichkeit ist das Sittengesetz. Das Sittengesetz zu beachten heisst nichts anderes, als nach dem Rechtsprinzip zu leben. Bei der Gesetzgebung, an der wir alle beteiligt sind, geht es nur um die Verwirklichung des Rechts, um nichts anderes. Nach dem Rechtsprinzip leben, auch im privaten Bereich, also im gesamten Leben, ist Freiheit, wie sie das Grundgesetz definiert, im religiösen Bereich, im unternehmerischen Bereich, wo auch immer.
Der Unterschied zwischen Privatheit und Staatlichkeit ist der folgende: Staatliche Gesetze werden allgemein bestimmt. Allgemein heisst von allen Bürgern. Im privaten Bereich bestimmt jeder allein, was rechtens ist, und hat allein die Verantwortung für die Rechtlichkeit. Der Bereich des Privaten wird im Rahmen der Grundrechte durch die Gesetze begrenzt. Niemand kann einem Bürger vorschreiben, wie er sein privates Leben gestalten soll, aber das Ethos der Freiheit verlangt, dass der Bürger auch im privaten Bereich so handelt, dass die Maxime, der Grundsatz, nach dem er zu handeln pflegt, Grundlage eines allgemeinen Gesetzes werden kann; denn alle Handlungen, auch die privaten, haben Wirkungen auf alle, jedenfalls auf andere. Auch private Handlungsmaximen können verallgemeinert werden und im Rahmen der Grundrechte zu staatlichen Verhaltensweisen werden.
Diese Haltung zum Rechtsprinzip nennt Kant Moralität. Diese Moralität ist das Elixier der Republik. Es gibt nur diese Moralität, nämlich gemäss dem Rechtsprinzip zu handeln. Wenn alle sich dessen befleissigen, leben wir in der Republik, dann, würde ich sagen, geht es uns gut. Das muss auch von den Unternehmern verlangt werden, im Rahmen der Gesetze. Die Moralität unterliegt dem Selbstzwang. Sie ist eine Charakterfrage. Keiner kann einen anderen zwingen, moralisch zu sein. Wer versucht, andere zur Moralität zu zwingen, handelt wie Robespierre, wie er es in seiner Schrift über Tugend und Terror ausgeführt hat: Er erzwingt Tugend durch Terror. Das endet auf der Guillotine. Derzeit sind wir dem ständigen Zwang zur political correctness durch Medien, Kirchen und durch ihre feministischen Stars ausgesetzt. Was von diesen Personen als «Ethik» vertreten wird, ist nichts anderes als Moralismus, genau das Gegenteil von Moral, nicht das Rechtsprinzip, sondern materialer Moralismus, Kampf gegen rechts usw. Wir brauchen keine «politischen Moralisten», sondern «moralische Politiker», sagt Kant (Zum ewigen Frieden, Ed. Weischedel, Bd. 9, S. 232 ff.). Allzu viele Protestanten ersetzen die Offenbarung durch, wenn man so will, eine Zivilreligion, durch Moralismus oder eben ideologisches Geschwätz. Unser Land ist voll von politischen Moralisten. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es wirklicher Bildung, elterlich, schulisch, universitär. Es wird ausgebildet und nicht die Bildung gefördert. Die meisten Politiker verwechseln schon die Worte Bildung und Ausbildung. Sie fordern mehr Bildung und meinen mehr Computerkenntnisse.
Das Grundgesetz schützt in Art. 4 Abs. 1 die Gewissensfreiheit, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bindet die Abgeordneten an ihr Gewissen. Das Gewissen ist der Gerichtshof der Sittlichkeit, sagt Kant (Metaphysik der Sitten,Ed. Weischedel, Bd. 7, S. 573 f.), und diese Sittlichkeit ist die materiale Sittlichkeit, das heisst die Richtigkeit auf der Grundlage der Wahrheit. Man findet zu ihr nur durch Moral, also durch das Leben, Handeln und Denken gemäss dem Rechtsprinzip.
Freiheitliche Gesetzgebung
Der Wille gibt die Gesetze. Die Autonomie des Willens besagt, dass der Wille aus sich heraus gesetzgebend ist. Der Wille ist ein Begriff der transzendentalen Freiheitslehre Kants. Der Wille ist praktisch vernünftig; denn er ist frei, nämlich nicht determiniert. Der Wille kann somit nicht anders als praktisch vernünftig sein, wenn es denn ein Wille ist, der autonom, selbst gesetzgebend, ist. Wer frei ist, lebt unter dem eigenen Gesetz, aber das Gesetz behält seinen Charakter als Gesetz. Es ist notwendig und allgemein. Die allgemeine Freiheitlichkeit der Gesetze ist dadurch verwirklicht, dass alle Bürger miteinander Gesetzgeber sind. Das Gesetz, unter dem der Mensch frei ist, muss derart materialisiert sein, dass alle das Gesetz als das ihre geben könnten, weil das Gesetz für alle gilt. Es ist schwer, das zu erreichen. Es ist die eigentliche Aufgabe der Vertreter des ganzen Volkes zu erkennen, was das richtige Gesetz ist. Das setzt Wahrheitlichkeit voraus. Jeder muss versuchen, das richtige Gesetz zu erkennen und zur allgemeinen Erkenntnis des richtigen Rechts beizutragen. Nur dadurch und darin ist er Bürger. Zur Lehre von der freiheitlichen Rechtsetzung verweise ich auf meine Schriften, insbesondere: Freiheit in der Republik, Berlin 2007.
Die Gesetzgebung ist in der Wirklichkeit nicht mehr Sache der von uns gewählten Vertreter, geschweige denn Sache der Bürger, seit sie weitestgehend europäisiert und darüber hinaus internationalisiert ist. Die Abgeordneten sind heilfroh, dass sie keine politische Verantwortung haben. Sie wissen auch von der europäischen Integration so gut wie nichts. Sie kennen jedenfalls die Verträge nicht, die sie bejubeln und mit Begeisterung annehmen. Die Gesetze werden weitestgehend von der Union gegeben. Einfluss haben Regierungen und Bürokratie. Wer dabei wen führt, ist wenig transparent, eher die Bürokratie die Regierungen, lobbyistisch vereinnahmt von den machtvollen Interessenten der Grosswirtschaft. Ein mächtiger Gesetzgeber ist zudem der Europäische Gerichtshof, weil die Verträge, welche er anwendet, so wenig bestimmt sind, dass sie nicht mehr lege artis ausgelegt werden können, sondern politische Gestaltung decken. Das Bundesverfassungsgericht hält das «noch» für demokratisch legitimiert, weil das Parlament den Verträgen zugestimmt hat. Wenn aber das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung überschritten wird, haben die Rechtsakte in Deutschland keine Wirkung, heisst es. Die Bürger werden geradezu aufgefordert, dagegen Verfassungsbeschwerden einzulegen.
Herrschaft der Parteien und Bürgerlichkeit der Bürger
Das Gegenprinzip zur Freiheit ist Herrschaft. Der Staat herrscht, soll das aber nicht. Gegen die Herrschaft des Staates gibt es gewisse klägliche Rechte, die Grundrechte. De facto sind das nur noch die Rechte zu arbeiten und zu konsumieren. Wer keine Arbeit hat, den versorgt der Staat, also die Allgemeinheit, auf Grund des Sozialprinzips mit den erforderlichen Mitteln. Die Grenzen der Unterhaltsansprüche sind streitig. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung den Staat als ein Herrschaftssystem dogmatisiert und das jetzt im Lissabon-Urteil besonders betont (BVerfGE 123, 267, 341, 343, 344, 349, 350, 356, 364, 366, 369 u.ö.). Jetzt ist das Gericht so weit gegangen, diese Herrschaft parteienstaatlich zu konzipieren. Es identifiziert ganz im Sinne von Gerhard Leibholz, der diese Rechtsprechung als Richter des Bundesverfassungsgerichts begründet hat, das politische System mit parteilicher Herrschaft. Die Parteien sind nach Leibholz Mittler zwischen dem Volk und dem Staat. Die Rechtsprechung behandelt die im Parlament vertretenen Parteien, als seien sie das Volk selbst. Das ist mehr als kritikwürdig. Wir sind das Volk, jeder einzelne Bürger ist gewissermassen das Volk, nämlich Teil desselben. Das macht die Demokratie aus. Das Volk ist die Bürgerschaft, und nach richtiger Freiheitslehre hat der Bürger, jeder Bürger die Verantwortung für die Rechtlichkeit der Gesetze. Er hat auch die Verantwortung für seinen Staat. Wir leben nicht in Zeiten harter Despotie, aber in sanfter Despotie. Mit sanften, sehr wirksamen Mitteln vor allem der Propaganda durch die Medien wird das Volk, genauer die Bevölkerung, beherrscht – Stichwort: «political correctness». Nur Bürger bilden ein Volk, nicht zu Untertanen degradierte Menschen.
Der Parteienstaat ist nicht der Gegensatz von Demokratie und Republik, aber er ist deren typische Verfallserscheinung. Das lehrt schon die Geschichte Roms. Es ist nicht zu hoffen, dass es irgendwann keine Parteien geben wird, dass also die Bürger bürgerlich miteinander leben. So ist der Mensch nicht, aus allzu krummem Holz geschnitzt, von Neigungen, also Habsucht, Machtsucht, Ehrsucht, besessen, die sich in den Parteien bestens entfalten können. Aber die Parteien müssen sich erneuern. Wir brauchen neue Parteien. Parteien dürfen nicht allzu beständig, geradezu ewig sein. Sie geraten dann in die falschen Hände, weil sie allzu einfach den Zugang zur Macht, zu den Ämtern und Pfründen sichern. Sie sind leicht von aussen steuerbar, von der internationalen Grossfinanz, von in- und ausländischen Diensten. Sie werden berechenbar und im Zweifel bestechlich. Ich sehe keine Chance, dass die Altparteien sich in irgendeiner Weise regenerieren und wieder Einrichtungen der Freiheit des Volkes werden. Es sind längst reine Herrschaftsbündnisse. Die Abhängigkeit von der Grossfinanz ist augenscheinlich. Mit Scheinargumenten wie der Systemnotwendigkeit werden die Geldinstitute, weitestgehend in der Hand ausländischer Banken oder Fonds und fremder Staaten, auf Kosten der wirklichen Leistungsträger des Landes, der arbeitenden Bevölkerung, und auf Kosten des Nachwuchses finanziert, mit einem ungeheuren Aufwand, mit grössten Risiken, ohne jede Rücksicht auf die Interessen der Bürgerschaft.
Aber in einer Zeit sanfter Despotie ist es möglich, seiner Pflicht als Bürger zu genügen, nämlich der Pflicht, für die Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens zu sorgen. Das ist die Freiheit der Bürger. Es gibt eine Widerstandspflicht. Der moderne Staat hat nur eine Aufgabe: das Recht zu verwirklichen. Das macht die Freiheit aus, weil jeder von uns Staat ist. Der Bürger ist staatlich, die zentrale Figur des Staates. Es gibt keinen Gegensatz von Staat und Bürgern. Es gibt keine Trennung von Staat und Gesellschaft. Das sind Irrlehren, die das Bundesverfassungsgericht unter geistiger Führung von Ernst-Wolfgang Böckenförde nach wie vor vertritt (vgl. BVerfGE 20, 56 [97ff.] und BVerfGE 44, 125 [139ff.]). Es sind dogmatische Fehlentwicklungen, die uns nicht frei sein lassen, derentwegen wir nicht als Bürger anerkannt werden. Längst ist wieder ein Herrschaftssystem etabliert, das durch gewisse Grundrechte liberalistisch moderiert wird. Aber das ist nicht die Freiheit, die die Grundlage von Demokratie und Rechtsstaat ist, besser: die Grundlage der Republik. Die Freiheit im politischen Sinne ist die Grundlage der Republik. Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht ganz am Rande eingeräumt, dass die Republik ein materiales Verfassungsprinzip ist und nicht lediglich das Verbot der Monarchie. Die Staatsrechtslehre wehrt sich entweder mit abwertenden Äusserungen oder mittels Missachtung gegen die republikanische Konzeption des Rechts, aber nicht aus politischen Gründen, sondern weil die Autoren meist eine Art liberalistischer Herrschaftslehre in ihre Lehrbücher geschrieben haben und ihre verfehlte Dogmatik nicht zugestehen wollen. Die Rechtswissenschaft ist weitgehend zu einer Abschreiberei verkommen. «Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort», lässt Goethe Mephisto sagen. Das Republikprinzip ist jedoch von grosser materieller Bedeutung; denn es ist das Prinzip der allgemeinen Freiheit, das der Bürgerlichkeit der Bürger.
Freiheitliche Demokratie, nicht Herrschaft des Volkes
Die Republik muss demokratisch sein. Nirgends steht im Grundgesetz, dass Deutschland eine Demokratie sein sollte. Demokratie ist ein schönes Wort, aber es wird missverstanden. Dieses Missverständnis ist philologisch, aber von staatserheblicher Bedeutung. Demokratie soll Herrschaft des Volkes heissen. Das stimmt vom Wortbegriff her nicht, von der Sache her noch weniger. Noch nie hat das Volk geherrscht. Nie wird das Volk herrschen. Völker werden immer nur beherrscht, empirisch gesehen. Völker können versuchen, die allgemeine Freiheit zu verwirklichen, die mit der allgemeinen Gleichheit und der Brüderlichkeit und, politisch korrekt, Schwesterlichkeit, verbunden ist und sein muss. Das wäre das Kunstwerk der Vernunft, wie Schiller das in dem Brief an den Grafen von Augustenburg genannt hat, das Kunstwerk der allgemeinen Freiheit, das der Demokratie als politischer Form bedarf. Demokratie heisst nun einmal nicht Herrschaft des Volkes, sondern das Volk hat das Sagen, das Volk wird nicht beherrscht, das Volk zieht den Karren – aus dem Dreck, das muss es immer, jetzt auch, aus dem Morast der Staatsschulden. Unser Volk wird grosse Opfer bringen müssen. Dass die Staatsverschuldung über das Investitionsvolumen hinaus verfassungswidrig ist, liegt auf der Hand (Art. 115 GG). «Krateín» heisst nicht herrschen, durch nichts. Wer Aristoteles studiert, ich habe das versucht, hoffentlich ist es mir gelungen, wird keine Stelle finden, die belegt, dass «krateín» irgend etwas mit herrschen zu tun hat. Ich habe für diese Lesweise eine wichtige Stütze, nämlich Vittorio Hösle, der einer unserer besten Köpfe ist, aber leider jetzt in Amerika lehrt (Politik und Moral, 1997, S. 94ff.). Auch «árchein» heisst nicht herrschen, sondern der erste sein, den Vorsitz haben, allenfalls führen. Die philologischen Fehlleistungen des 19. Jahrhunderts sind noch immer systemrelevant. Man konnte und wollte nichts anderes denken, als dass der Staat auf Grund des monarchischen Prinzips herrsche. Das will man nach wie vor. Die Demokratie, welche die Monarchie abgelöst hat, müsse Herrschaft sein. Man dogmatisiert immer noch, der Staat sei ein Herrschaftsgebilde und solle es sein. Er ist es, das bestreite ich nicht, und der gegenwärtige deutsche Staat wieder fast diktatorisch. Aber er soll es nicht sein. Man darf die Wirklichkeit, die man empirisch erfassen muss, nicht mit dem verwechseln, was sein soll.
Volk, nicht Bevölkerung
«Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus!» Das Volk ist Träger der Staatsgewalt. Das Volk sind alle Bürger, in gewisser Weise auch die, die jetzt als Migranten eingebürgert worden sind. Die mögen nicht zur Nation gehören, sind aber Staatsangehörige. Diese Einbürgerungen waren verfassungswidrig, aber die Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten führt nicht ohne weiteres zu ihrer Nichtigkeit, sondern nur, wenn das offenkundig ist. Das ist allgemeines, öffentliches Recht, das auch zum Rechtsstaat gehört. Der Austausch des Volkes durch eine beliebige Bevölkerung ist mit dem Volksbegriff des Grundgesetzes unvereinbar. Das ist nicht rechtens, wenn das Volk nicht gefragt wurde, wenn also keine Volksabstimmung über die Frage stattgefunden hat: Wollt ihr ein anderes Volk werden? Oder wollt ihr überhaupt aufgeben, ein Volk zu sein und euch in eine Bevölkerung umwandeln, in eine multinationale, multikulturelle Bevölkerung? Diese Umwandlung wird oktroyiert. Die meisten dürften dagegen sein, aber wir haben als Bürger alle die Verantwortung für das Schicksal des Volkes. Es gibt auch Schuld durch Unterlassen, das ist ein allgemeines strafrechtliches Prinzip. Gegenwärtig ist es vergleichsweise leicht zu handeln. Es gibt die Verpflichtung des Bürgers, seine bürgerliche Verfassung zu verteidigen, die Widerstandspflicht. Wenn wir die Verpflichtung nicht erfüllen, alle, zusammen, sind wir gegenüber den nachfolgenden Generationen für das Unglück verantwortlich. Wir machen uns schuldig, wie sich andere in anderen Zeiten in Deutschland schuldig gemacht haben. Widerstand im Dritten Reich war unendlich schwer, man musste sein Leben aufs Spiel setzen, aber das grosse Unrecht darf kein Volk dulden.
Negativauslese der Parteien
Wenn die Staatsgewalt nicht vom Volke ausgeht, sondern von einer Parteienoligarchie, ist das nicht demokratisch. Das Volk muss für die Bewältigung des gemeinsamen Lebens bestens organisiert sein. Dafür genügen nicht nur Wahlen von Parteien. Es wird gewählt, aber wir wählen die, die schon gewählt sind, sagt Hans-Herbert von Arnim. Das Volk hat durch die Wahlen keinen wirklichen Einfluss auf die Politik. Den haben wenige Parteipolitiker, keineswegs alle Parteimitläufer. Die Parteien sind älter geworden. Ihre inneren Strukturen haben sich verändert. Es sind nicht mehr die politischen Parteien der Zeit Konrad Adenauers, in denen Menschen mitwirkten, die schon in der Weimarer Republik politische Verantwortung getragen, die Tyrannei des Dritten Reiches hinter sich und die Erfahrung des grossen Unrechts hatten. Diese Politiker wollten Freiheit und Recht, Republik und Demokratie.
Jetzt haben Agenten, Opportunisten und Karrieristen in den Parteien das Sagen. Die Führungskräfte in den Parteien sind eine Negativauslese. Die Republik steht und fällt mit der führenden Schicht, mit bürgerlichen Aristokraten, nicht mit dem Adel im Geburtssinne – nicht jeder Adlige ist schon ein edler Mann, sagt Kant. Wir brauchen die Besten in der Politik, die republikanische Aristokratie. Die Parteien haben nur eine Aufgabe: die Besten auszuwählen und diese, nicht sich selbst, den Bürgern zur Wahl vorzuschlagen, damit diese die politische Verantwortung übernehmen. Es gelingt ihnen bestens das Gegenteil. Jeder weiss, wenn er nicht durch berufliche Leistung einen angemessenen Status erlangt, dann ist es doch auch ohne fachliche Leistung möglich, durch Anpassung in einer Partei in hochbezahlte Ämter und Pfründen zu kommen, freilich bedarf es der hinreichenden Charakterlosigkeit, stetig gegen besseres Wissen und eigene Überzeugung zu handeln. Den Weg gehen viele. Ein Beispiel hat der zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler gegeben. Lebensprinzip der Parteigänger ist der Opportunismus. Für mich ist es unerklärlich, wie die CDU eine FDJ-Funktionärin zur Kanzlerin machen konnte. Von einer solchen Politikerin kann man nichts anderes erwarten als Abhängigkeit und Unterwerfung. Wenn sie erklärt, die Staatsraison Deutschlands sei die Sicherheit Israels, muss man prüfen, ob nicht §§ 81, 83 des Strafgesetzbuches erfüllt sind. Hochverrat muss freilich durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt erfolgen. Der Gewaltbegriff in der Vorschrift ist schwierig. Israels Sicherheit lässt sich augenscheinlich nicht ohne Gewalt gewährleisten. Ein Krieg, mit dem Deutschland die Sicherheit Israels zu schützen versuchen würde, würde die Sicherheit Deutschlands schwer beeinträchtigen. Helmut Schmidt hat mit aller Klarheit gesagt, dass eine solche Aussage vor der Knesseth aussenpolitisch verheerend ist.
Nicht allein Wahlen genügen dem demokratischen Prinzip, sondern ganz wesentlich ist die Aufstellung der Kandidaten, letztlich die ganze republikanische oder eben demokratische Kultur eines Landes. Das Bundesverfassungsgericht spricht vom demokratischen Legitimationsniveau (BVerfGE 83, 60 [71]; 89, 155 [172]). Es muss einen hinreichenden Diskurs um die Politik geben. Meist wird verkannt, dass es nicht schon demokratisch legitimiert ist, wenn die Mehrheit die Minderheit beherrscht. Demokratisch ist allein die Erkenntnis des Wahren und Richtigen – Erkenntnis, Kognition, nicht Dezision. Erkenntnis ist republikanisch. «Politik ist ausübende Rechtslehre», sagt Kant (Zum ewigen Frieden, S. 229). Ausübende Rechtslehre erkennt und beschliesst das Richtige für das Gemeinwohl des Volkes. Das setzt Wahrheit voraus und damit Wahrheitlichkeit. Wer derer nicht fähig ist, darf kein Staatsamt ausüben. An dem Diskurs muss das ganze Volk teilnehmen können, auch mit allen Irrtümern.
Freie Rede
Konstitutionsprinzip einer Demokratie ist das Recht der freien Rede. Das Recht der freien Rede wird in Deutschland entgegen der Würde des Menschen und entgegen der Schutzpflicht des Staates mit Füssen getreten. Der Staat, einschliesslich seiner Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht, verteidigt das Recht der freien Rede nicht hinreichend. § 186 Strafgesetzbuch, der die üble Nachrede unter Strafe stellt, ist zugunsten der Medien wegen ihrer öffentlichen Aufgabe vom Bundesverfassungsgericht praktisch ausgehebelt. Die Medien können jeden diffamieren, etwas sagen, was verächtlich zu machen geeignet ist, ohne dass sie nachweisen können oder müssen, was sie über einzelne Bürger verbreiten. Aber nach dem Straftatbestand müssen herabsetzende Äusserungen erweislich wahr sein. Es wird von den Medien nur verlangt, dass sie mit mediengemässer Sorgfalt ihre Äusserungen prüfen, also ohne jede Sorgfalt; denn sie haben ja keine Zeit und keine Gelegenheit, hinreichend zu überprüfen, was sie schreiben.
Die Meinungsäusserungsfreiheit der Medien ist gross, die des Bürgers klein. Der Bürger hat keinen wirksamen Schutz seiner Persönlichkeit. Der Bürger hat zudem wenige Möglichkeiten, in der Öffentlichkeit gehört zu werden. Der Persönlichkeitsschutz wird zwar in der Würde des Menschen und im Freiheitsprinzip, also in höchsten Werten, verankert, aber er findet der Sache nach nicht statt. Caroline von Monaco und ihre Kinder werden geschützt, aber nicht der einfache Bürger, der in der Politik etwas sagt, was nicht alle hören sollen, oft schlicht die Wahrheit. Die meisten Bürger schweigen verängstigt, obwohl sie die Wahrheit lieben und oft herausschreien wollen. Aber sie fürchten die diffamierende Medienschelte, manchmal auch Staatsanwalt und Strafrichter. Für die demokratische Kultur ist das verheerend.
Die Gerichte stärken in jeder Weise die Medien, welche den bürgerlichen Diskurs mehr gefährden als fördern. Wenn sie nicht die Öffentlichkeit durch Spiele, Sex- und Gewaltdarstellungen von der Politik ablenken, missbrauchen die Medien ihre in der Demokratie unverzichtbare Aufgabe, zur Meinungsbildung beizutragen, für irreführende Propaganda. Das ist Unrecht. Man weiss genau, wie man mit den heutigen Kommunikationsmitteln ein Volk beherrscht. Untragbar ist die Vermachtung der Medien, die, wenn nicht in der Hand des von den Parteien beherrschten Staates, in der weniger Medienoligopolisten sind. Demokratische Veranstaltungen sind das nicht. Allerdings hat das Internet Chancen zur Opposition eröffnet, aber die Printmedien und die herkömmlichen elektronischen Medien, vor allem das Fernsehen, sei es öffentlich oder privat, sind Vehikel der Parteien und der diese beherrschenden Mächte im In- und Ausland, vor allem der Grossfinanz und der Grossindustrie. An sich sollte Deutschland von staatlicher Propaganda genug haben, aber ohne diese kann die bürgerfeindliche Politik angesichts der ständigen Wahlen schlecht durchgesetzt werden.
Eigentum, Selbständigkeit und Freiheit
Eine wesentliche Grundlage und Voraussetzung eines freien Volkes, das als Demokratie oder besser als Republik verfasst ist, ist allgemeines Eigentum, das Recht auf und das Recht am Eigentum. Die Eigentumsordnung muss so gestaltet sein, dass alle Bürger der Freiheit fähig sind. Nur mittels Eigentum ist der Mensch selbständig. Nur die hinreichende Selbständigkeit des Menschen macht ihn zum Bürger. Darum gibt es auch ein Recht auf Eigentum, das in Art. 14 GG verankert, aber längst nicht anerkannt ist. Allgemeine Selbständigkeit ist das eigentliche Ziel des Sozialprinzips. Kant hat die Trias der leitenden Ideen der Republik: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, mit Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit übersetzt (Metaphysik der Sitten, S. 432ff.). Die Wirtschaftsordnung muss so gestaltet sein, dass möglichst alle Bürger aus eigener Kraft zur Selbständigkeit finden und diese erhalten können. Das Bundesverfassungsgericht hat die sozialen Verpflichtungen zu Recht auf die Würde des Menschen gestützt. Die Wirtschaftsordnung hat sich von Rechtsprinzipien weit entfernt. Die hinreichende Selbständigkeit der Menschen ist nicht mehr gesichert, ganz im Gegenteil, die Bürger müssen um ihren Arbeitsplatz, um ihre Rente, um ihr Vermögen bangen. Die Jugend hat schlechte Aussichten. Die sozialen Verhältnisse waren schon besser entwickelt, aber wir teilen, zumal europa- und weltweit, in einer Weise, welche den Bürgern allzuviel von ihrem Eigentum und ihren Chancen nimmt. Damit werden mehr und mehr Bürger wirtschaftlich zu Untertanen.
Die wirklichen Hintergründe des wirtschaftlichen Desasters und der Entwürdigung des Menschen ist die Globalisierung und die Europäisierung der Wirtschaft. Die Europäische Union ist schlicht eine Region der globalisierten Wirtschaft, deren «Verfassungsprinzip» die Freiheit des Kapitals ist. Die europäische Integration heisse ich im begrenzten Umfang gut, aber nicht so, wie es geschieht, nicht die Entwicklung zu einer zentralistischen Bürokratie im Interesse eines entgrenzten Kapitalismus, in dem die Menschen Humankapital mit schnellem Verfall sind. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, sollen sie den Anstand haben, die Wirtschaft rasch von ihren Kosten zu befreien, zunächst auf Grund freiwilliger Patientenverfügung. Eine europäische Integration muss Freiheit und Recht, Demokratie und Rechtsstaat, aber auch den Sozialstaat wahren. Ein europäisches Europa muss eine Republik der Republiken, ein Europa freier Staaten sein.
Wir nehmen diese bürgerfeindlichen Politiken hin, die aber auch wegen Verletzung des Sozialprinzips, das mit dem Republikprinzip untrennbar verbunden ist, ein Verstoss gegen höchste Verfassungsprinzipien sind. Wir tun nicht mehr das, was wir zu tun verpflichtet sind, um allen Bürgern im Lande die Chance der Selbständigkeit zu geben. Damit haben nicht mehr alle die Fähigkeit, wirklich an der Demokratie teilzuhaben. Wie gesagt, setzt die Fähigkeit zur Autonomie des Willens als die Fähigkeit zur Freiheit die Selbständigkeit aller voraus. Wenn nicht alle Bürger in der Republik frei, also selbständig, sind, können auch die anderen trotz gewissen Vermögens nicht frei sein. Das erweist sich in der Macht der Mehrheit. Die Freiheit als allgemeine Gesetzgeberschaft ist unteilbar. Es gibt keine Freiheit inmitten von Untertanen. Wer aber soll nach Selbständigkeit und Freiheit fragen? Zu sagen haben die Menschen im entwickelten Parteienstaat ohnehin nichts, allenfalls wenig, also müssen sie auch nicht selbständig im republikanischen, bürgerlichen Sinne sein.
Wirtschaftliche Entmachtung durch internationalen Kapitalismus
1. Wir haben die wirtschaftliche Hoheit aus der Hand gegeben. Wir haben aussenwirtschaftlich, also in der Handelspolitik, nichts mehr zu sagen. Die Aussenwirtschaftspolitik, von grösster Bedeutung für ein Exportland wie Deutschland, ist völlig von der Europäischen Union usurpiert, jetzt im Vertrag von Lissabon festgeschrieben, vorher vertragswidrig vom Europäischen Gerichtshof dekretiert. Wir sind von den aussenwirtschaftspolitischen Entscheidungen der Union abhängig. Die unterschiedlichen Interessen von 27 Mitgliedstaaten mit heterogenen Volkswirtschaften bestimmen die Wirtschafts-, zumal die Handelspolitik. Das wird mit dem schönen Wort Freihandel kaschiert, ohne dass die Voraussetzungen eines Freihandels erfüllt wären. Das Ausbeutungsszenario der kapitalgesteuerten Wirtschaft ist kein Freihandel. Besser passt das Wort Freibeuterei. Die globalisierte Wirtschaft kommt nicht allen zugute, und insbesondere den Menschen nicht, die keine Arbeit finden. Wir könnten andere Arbeitsverhältnisse haben. Nach Berechnungen, die ich für seriös halte, hat die internationalistische Entwicklung die Deutschen in den letzten zwei, drei Jahrzehnten ein gutes Drittel unseres Einkommens gekostet. Das sind die Opfer, die Deutschland vor allem für die Union bringt, nicht nur die Nettozahlungen an die Europäische Union. Die Opfer sind die Transferleistungen, die allein dadurch abgefordert werden, dass Deutschland nicht aufwertet, während andere Euroländer abwerten müssten. Griechenland voran und weiter Portugal, Irland, Italien und Spanien. Belgien und Frankreich werden bald mitgenannt werden. Nach Aufwertung hätte Deutschland eine stärkere Kaufkraft, vor allem am Weltmarkt, aber auch am Binnenmarkt. Dem Export steht ein Import gegenüber. Die deutschen Produkte, die in hohem Masse aus ausländischen Zulieferungen hergestellt werden, würden nicht merkbar verteuert. Manche halten den schwachen Durchschnittseuro für einen Vorteil für die deutsche Exportwirtschaft. Das mag einzelnen exportorientierten Unternehmen zugute kommen, ist aber gesamtwirtschaftlich eher ein Nachteil, insbesondere schwächt das die Kaufkraft im Innern, die der Menschen im Lande. Es schadet zudem den Nachbarstaaten, deren Schäden durch das Abwertungsverbot die Deutschen jetzt bezahlen müssen. Als Deutschland die DM stetig aufgewertet hat, hatte es mit Abstand das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Europa und nach den USA in der Welt. Jetzt liegen die Deutschen in der unteren Hälfte im OECD-Bereich, und die Bevölkerung verarmt zusehends. Die Währungsunion schadet in jede Richtung und wird ihren Zweck, den Unionstaat herbeizuzwingen, verfehlen.
2. Es ist ausgeschlossen, die Fehlentwicklung der Wirtschaft durch irgendwelche steuer- oder sozialpolitischen Massnahmen in Ordnung zu bringen. Es werden ganz andere Massnahmen erfolgen, um mit den Staats- und Bankenschulden fertig zu werden. Inflation wird nicht reichen. Eher erfolgt nach einer ruinösen Deflationsphase der Währungsschnitt. Griechenland ist ein Beispiel. Die Währungs- und Finanzkrise Argentiniens konnte 2001/2 nur durch ein Moratorium, die Lösung des Pesos von der Dollar-Parität mit einer Abwertung von 70% und schliesslich dadurch bewältigt werden, dass Argentinien seine Schulden bis zu 70% nicht bezahlt hat. Ähnliche Schritte werden gemacht werden müssen, letztlich auch in Deutschland. Diese Verschuldungspolitik ist verfassungswidrig. Sie ist grosse Enteignung der Bürger, freilich nur derer, die ein Vermögen haben. Dazu gehören auch Pensions- und Rentenansprüche, deren Anpassung an die Geldwertentwicklung vom Gesetzgeber abhängt.
Warum soll nicht auch einmal eine der Banken insolvent werden, denen durch die Rettungsmassnahmen für den Euro die Risiken, die sie sehr gewinnorientiert eingegangen sind, abgenommen werden? Zu unserem Wirtschaftssystem gehört die Insolvenz. Dadurch werden die Wagnisse gesteuert, insbesondere die Kreditierung der Unternehmen, aber auch der Staaten, wie sich zeigt, begrenzt. Es gibt keine Systemrelevanz von Banken, auch nicht von Banken in der öffentlichen Hand. Wenn aberdie Politiker zulassen, dass die Banker reich, unermesslich reich werden, wer will es ihnen verdenken, dass sie die Möglichkeiten nutzen. Die Verantwortung für die Finanzkrise haben die Politiker. Es wird von den Unternehmern soziales Ethos gefordert, aber es gilt, ihnen Grenzen zu ziehen. Sie haben in ihren Strukturen, die auf grösstmöglichen Gewinn der weltweit gestreuten, systemisch nicht solidarischen Shareholder angelegt sind, keine Chance zu einem sozialen Ethos.
Globalisierung ist mit dem Sozialprinzip wie mit dem demokratischen Prinzip unvereinbar. Das grundlegende Prinzip der Ethik ist die Rechtlichkeit. Für das Recht ist die Politik verantwortlich. Wer die globale Kapitalverkehrsfreiheit ins Haus holt, der darf sich nicht wundern, wenn sozialwidrige Verhältnisse entstehen. Wer die Schriften dazu kennt, auch von mir, die schon vor mehr als 10 Jahren geschrieben sind, der kann das wissen, aber die Politiker, weitgehend korrumpiert, wollen das nicht wissen: Einer der grössten Missgriffe der Wirtschaftspolitik ist die Kapitalverkehrsfreiheit, nicht nur die in der Europäischen Union, sondern die globale der ganzen Welt. Nach dem Unionsrecht ist es uns verboten, den Kapitalverkehr gegenüber allen Ländern der Welt zu beschränken, mit gewissen Ausnahmen vor allem zugunsten der Währungsunion. Das ist die Grundlage des spekulativen Kapitalismus, die Grundlage dieser kreditären Geldschöpfung, die das Zehnfache des für die Wirtschaft erforderlichen Geldumlaufs betrifft, immer mit Zinserwartungen. Ich kann das nicht vertiefen und verweise auf mein Buch «Verfassungsrecht der Europäischen Union, Teil 2: Wirtschaftsverfassung mit Welthandelsordnung», Berlin 2010. Wer eine Politik globalen Kapitalismus’ macht, hat eine Politik der Selbständigkeit der Bürger und damit eine soziale, demokratische, republikanische Politik, eine Politik der Freiheit und des Rechts, aufgegeben.
Republikwidriges Mehrheitsprinzip
Ein grosses Missverständnis der Demokratie ist das Mehrheitsprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses im Lissabon-Urteil erneut hervorgehoben. Die Mehrheit befiehlt, die Minderheit hat zu gehorchen. Die Legitimation der Mehrheit führt zur Ochlokratie. Das ist keine Demokratie. Die Verhältnisse sind nicht so, dass alle mit den Entscheidungen der Mehrheit, wenn es denn überhaupt die der Mehrheit sind, zufrieden sind, kantianisch gesprochen, diese, Moralität unterstellt, zu ihrem Gesetz machen würden. Die Parteien, deren Fraktionen im Bundestag die Mehrheit der Stimmen haben, werden vom Bundesverfassungsgericht mit der Mehrheit des Volkes identifiziert. Es dürfte mehr als selten sein, dass die Mehrheit des Volkes hinter der Politik der Parteien steht, geschweige denn hinter der Politik der Mehrheiten im Bundestag. Ein zunehmend grosser Teil der Bürger wählen nicht, aus guten Gründen. Sie sind nicht bereit, unter den Übeln eines auszuwählen. Auch die grossen Parteien werden allenfalls von 20% der Wähler unterstützt, die gegenwärtige Regierungskoalition von etwa 30% der Wähler. Nur etwa 0,3% der Bevölkerung sind in den Parteien aktiv. Die Parteien haben mehr Mitglieder, etwa 3% der Bevölkerung, aber aktiv ist von denen nur jeder Zehnte. Dass die nun das Volk repräsentieren sollen und mit dem Volk identifiziert werden, ist absurd. Aber dennoch ist auch das Mehrheitsprinzip als solches, das besagt, dass die Mehrheit berechtigt wäre, die Politik zu bestimmen, falsch und gehört zu den Verzerrungen der Republik. Es geht in der Politik darum, das zu beschliessen, was richtig ist, für alle richtig ist, für das gemeine Wohl richtig. Das ist nicht leicht zu erkennen. Dafür muss zunächst die Wahrheit zugrunde gelegt werden. Deswegen bezieht sich die Meinungs-äusserungsfreiheit nur darauf, dass der Bürger zur Wahrheit und Richtigkeit beitragen darf. Dass sich das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil auf das Mehrheitsprinzip kapriziert, ist befremdend. Es gibt eine Mehrheitsregel. Die aber ist etwas völlig anderes als ein Mehrheitsprinzip. Die Mehrheit hat durch nichts recht. Die Mehrheit ist in Deutschland schon öfter berufen worden. Glücklich sind wir damit nicht geworden. In den Organen des Staates richtet sich die Entscheidung nach den Stimmen der Mehrheit. Im Gericht entscheidet die Mehrheit der Richter, wenn es ein Kollegialgericht ist. Wie soll es anders sein? Die Strafbarkeit hängt von der Zweidrittelmehrheit ab. Im Parlament entscheiden unterschiedliche Mehrheiten.
Im übrigen hat die Mehrheit in Wirklichkeit noch nie geherrscht. Immer herrschen Minderheiten, kleine Minderheiten. Wenn man im Parlament Einstimmigkeit verlangen würde, würden keine Entscheidungen zustande kommen. Carl Schmitt hat die Führerschaft demokratistisch mit dem Mehrheitsprinzip legitimiert. Schmitt war nicht der Lehrer der Republik, ganz im Gegenteil. Carl Schmitt hat klar ausgesprochen, dass die Freiheit kein politisches Prinzip sei. Die Demokratie sei demgegenüber ein politisches Prinzip. Die Freiheit habe nur rechtsstaatliche Relevanz, eben in den Abwehrrechten des Bürgers, sprich des Untertanen, gegen den Staat. Carl Schmitt ist sehr erfolgreich. Wesentliche Irrtümer der deutschen Staatsrechtslehre stammen von ihm, zumal in grossen Fragen. Bevor man selbst nachdenkt, schreibt man bei Carl Schmitt ab. Mit seiner herrschaftlichen Repräsentationslehre hat Schmitt erfolgreich die Demokratie von der Freiheit getrennt. Die Einheit will ich wieder herstellen. Das Bundesverfassungsgericht folgt mehr denn je Carl Schmitt, freilich ohne ihn zu zitieren. Wir reden zu Recht von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Freiheit ist das Leitprinzip, und die politische Form der allgemeinen Freiheit ist die Republik. Die aber bedarf wegen der Staatsgewalt, die das Volk hat, demokratischer Willensbildung.
Freiheit und Rechtsstaat
Die Republik muss demokratisch sein, und das wichtigste Prinzip der Republik ist der Rechtsstaat. Es würde vollkommen genügen, wenn Deutschland und die anderen Länder dieser Welt wirkliche Rechtsstaaten wären. Als Rechtsstaat war Deutschland in bestimmten Jahren, sagen wir den 50er, 60er und noch 70er Jahren, besser als alle anderen Staaten aufgestellt. Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine starke Entwicklung zum Rechtsstaat und eine feine Diskussion über Einzelfragen des Rechtsstaates, etwa als 1960 die Verwaltungsgerichtsordnung eingeführt wurde. Das europäisierte Deutschland hat den Rechtsstaat längst verlassen. Es gibt noch beachtliche Reste des Rechtsstaates, Deutschland ist noch im gewissen Masse rechtsstaatlich, aber nicht im eigentlichen. Das Bewusstsein der politischen Klasse in Deutschland für den Rechtsstaat ist verlorengegangen.
Das zeigt der «Krieg» gegen das Bankgeheimnis in der Schweiz, ein Rechtsprinzip eines anderen Landes. Der deutsche Finanzminister versucht, dieses Bankgeheimnis der Schweiz, das gute Gründe hat, jedenfalls in der Schweiz rechtens ist, zu beseitigen, mit Mitteln, die ein Grundprinzip des Rechtsstaates missachten, die Verfahrensgerechtigkeit. Auch und gerade die Verfahren müssen dem Rechtsstaatsprinzip genügen. Verfahrensrechtlichkeit ist die Magna Charta des Rechtsstaates, gerade im Strafverfahren. Wer das Formelle des Rechtsstaates vernachlässigt, wie gegenwärtig in den Fragen des Schweizer Bankgeheimnisses, hat den Rechtsstaat verkannt. Wenn er meint, wir müssen unbedingt das materielle Recht durchsetzen und die Steuersünder bestrafen, dann darf er noch lange nicht die rechtsstaatlichen Verfahrensprinzipien missachten. Verfahren sind Freiheitsschutz. Auch das Recht anderer Länder ist zu respektieren, insbesondere im Interesse des guten Miteinanders der Völker und Staaten. Die «Prinzipien des Rechtstaates» (ISBN 3-4281-2206-2) habe ich in einer Schrift, Berlin 2006, dargelegt.
Wenn im übrigen jemand in der Schweiz Renditen zieht, weil er sein Geld gemäss der Kapitalverkehrsfreiheit legal in die Schweiz verbracht hat, dann ist das rechtens. Eine zusätzliche Besteuerung deutscher Staatsbürger in Deutschland entgegen den Doppelbesteuerungsabkommen ist ein klarer Verstoss gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Die Kapitalverkehrsfreiheit, als eine der Grundfreiheiten, gilt auf Grund der bilateralen Verträge auch für die Schweiz. Ich rede nicht über die Gelder, die nicht versteuert in die Schweiz transferiert wurden, also über Schwarzgelder, sondern über ererbte Vermögen, die in der Schweiz liegen und Renditen erbringen. Die sind nach Schweizer Recht zu versteuern. Alles andere widerspricht der Logik der Kapitalverkehrsfreiheit, einer Logik, die der Europäische Gerichtshof ständig praktiziert. Da lag der letzte deutsche Finanzminister schief, aus der Gier heraus, die auch beim Staat beheimatet zu sein scheint.
Aber auch in vielen anderen Bereichen hat das europäisierte Deutschland rechtsstaatliche Prinzipien verlassen, vor allem bei den hilflosen Versuchen, den Euro durch die Finanzierung des griechischen Haushalts und noch mehr durch den allen Mitgliedstaaten zugänglichen Rettungsschirm zu verteidigen. Die Massnahmen sind grobe Vertrags- und Verfassungsverletzungen, und sie missachten das Versprechen an die Deutschen, die Stabilität der Währung ohne Finanztransfers an andere Euro-Länder zu gewährleisten. Gegen die von niemandem bestreitbare Vertragswidrigkeit der Euro-Einführung hat das Bundesverfassungsgericht den Rechtsschutz verweigert. Sowohl die Einführung des Euro als auch dessen Verteidigung sind nichts anderes als Diktatur. Die Einführung war ein Rechtsbruch, in dem Falle Vertragsbruch, und die Verteidigungsmassnahmen sind es auch. Sie sind zudem ökonomisch falsch, versprechen keinen Erfolg und schaden unermesslich. Die Rechtsschutzlosigkeit ist ein Kriterium der Diktatur – was eigentlich sonst?
Bürgerlicher Rechtsstaat durch Freiheit und Eigentum
Das gesamte gemeinsame Leben hängt von der Freiheit ab, insbesondere der Rechtsstaat. Es gibt keinen Rechtsstaat ohne Demokratie, wohlgemerkt in dem dargelegten Sinne, und keinen Rechtsstaat ohne Selbständigkeit der Menschen, also ohne Sozialstaat. Der Rechtsstaat kann nicht auf formelle Prinzipien reduziert werden, wenn auch die formellen Prinzipien unverzichtbar sind. Der liberale Rechtsstaat hat sich im wesentlichen auf die formellen Prinzipien beschränkt, diese haben die Freiheiten vielleicht wirksamer geschützt als der materielle Rechtsstaat durch die Grundrechte. Das liegt an den in der Republik veränderten politischen Verhältnissen. Der Gesetzesvorbehalt für alle Massnahmen des Staates, welche in Freiheit und Eigentum eingriffen, bewirkte, dass der Landtag derartigen Gesetzen zustimmen musste. Im Landtag waren aber die Bürger vertreten, die ihre Interessen gegen den monarchischen Staat vertreten haben. Der formelle Gesetzesvorbehalt hatte dadurch grosse materielle Wirkung. Erinnert sei an den preussischen Budgetkonflikt 1862, der lange währte und nie verbindlich entschieden wurde. In der Republik sind die Bürger selbst die Träger der Staatsgewalt.
Es gibt in der Republik keinen Gegensatz von Staat und Gesellschaft. Aber die in das Parlament gewählten Vertreter des Volkes sind, wenn sie Interessen und Parteien repräsentieren, die grösste Gefahr für die Freiheit und die Freiheiten, obwohl sie die Freiheit verwirklichen sollen. Die Entrechtung der Bürger durch die Internationalisierung der Lebensverhältnisse, zumal durch deren Europäisierung, die in der Integrationsverantwortung der Parlamente liegt, ist weit fortgeschritten. Zudem führt das Wahlsystem im Parteienstaat zu einer steten Minderung der bürgerlichen Rechte, vor allem des Eigentumsschutzes, weil die Parteien mittels ihrer Gesetzgebungsmacht das, was den einen gehört, den anderen geben, um von letzteren gewählt zu werden. Der parteienstaatliche Demokratismus führt geradezu zwangsläufig zu einer rechtlosen Verteilung des Volksvermögens; denn die parteilichen Parteien sind darauf angelegt, Interessen zu bedienen, nicht aber das Recht zu verwirklichen. Das Wahlrecht wirkt dem nicht entgegen. Zu Recht ist zum Schutz der Grundrechte die Verfassungsgerichtsbarkeit eingerichtet. Aber die Verfassungsrichter, auch in die parteiliche Klasse integriert, leisten den materiellen Schutz von Freiheit und Eigentum eherweniger als der formelle Gesetzesvorbehalt des Liberalismus unter dem monarchischen Prinzip, der bekanntlich zum Hochliberalismus geführt hat. Für den menschheitlich richtigen Republikanismus fehlt es noch an der erforderlichen Sittlichkeit und Moralität der Bürger wie der Vertreter derselben in den Parlamenten.
Entstaatlichung des Volkes und Legitimation der Unionspolitik
1. Unabdingbare Voraussetzung des Rechtsstaates ist der Staat. Der Rechtsstaat muss ein Staat sein. Die Entstaatlichung des Volkes, nicht nur durch die europäische Integration, sondern auch durch die Globalisierung, ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar. Dem Volk wird die Hoheit über den eigenen Staat genommen. Die existentiellen Politiken, die Währungspolitik, die Wirtschaftspolitik, die Haushaltspolitik, die Sozialpolitik, die Sicherheitspolitik u.a.m., müssen in der Hand des Volkes bleiben und dürfen nicht Gremien übertragen werden, die nicht vom Volk legitimiert sind. Die europäischen Organe haben keine demokratische Legitimation, sage ich seit langem. Das Bundesverfassungsgericht musste zugestehen, dass die Organe der Europäischen Union nicht eigenständig demokratisch legitimiert sind, wie sie es sein müssten, wenn es Staatsorgane wären, wie sie es aber auch sein müssen, weil sie Rechtsetzungsorgane der Völker sind. Wenn das demokratische Niveau in Deutschland so abgesenkt wäre wie das der Union, wäre das fraglos demokratiewidrig. Das Gericht will aber nicht zugeben, dass die Union längst ein Staat ist, der mächtigste Staat in unserem Leben, weitaus wirkungsmächtiger als Bund, Länder und Gemeinden, und deswegen der Legitimation durch ein Staatsvolk bedarf. Das aber müsste durch ein unionsweites Verfassungsgesetz geschaffen werden, welches der vorgängigen Zustimmung aller Unionsvölker bedarf. Das sieht das Lissabon-Urteil nicht anders.
2. Das Gericht konstruiert die demokratische Legitimation der Unionspolitik dogmatisch mittels des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung, das in Art. 5 des EUV in der Lissabonner Fassung eigens genannt ist, aber nur im deutschsprachigen Text. In den anderen Texten ist ehrlicher von abgeleiteten Befugnissen der Union die Rede, die mangels Volkes keine originären Befugnisse hat und haben kann. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzel-ermächtigung muss die Politik der Union voraussehbar sein, so dass sie von den nationalen Parlamenten verantwortet werden kann; denn nur die nationalen Parlamente können, weil von den Völkern gleichheitlich gewählt, demokratisch legitimieren. In Wirklichkeit sind die Ermächtigungen weit und offen bis hin zu Generalklauseln, welche der Bestimmtheit weitestgehend entbehren. Allemal seit dem Vertrag von Lissabon hat die Union jede Politikmöglichkeit – in der Wirtschaft, zumal in der Handelspolitik, im Sozialen, im Bereich der inneren und äusseren Sicherheit, abgesehen von der Währungspolitik.
Mit der Währungspolitik werden derzeit durch Griechenlandhilfe und Währungsrettungsschirm die Finanzen vor allem Deutschlands ruiniert, freilich unter krassem Bruch der Verträge. Die No-bail-out-Klausel des Art. 125 AEUV verbietet diese Massnahmen eindeutig. Die europäische Währungsunion sollte keine Haftungsgemeinschaft sein, sondern eine Stabilitätsgemeinschaft. Jetzt ist sie keine Stabilitätsgemeinschaft, sondern eine Haftungsgemeinschaft. Die Währungsunion wird zur Finanzunion, Transferunion, Sozialunion. Das ist endgültig der Bundesstaat. Den sollte die Währungsunion, ökonomisch von vornherein eine Fehlkonstruktion, auch herbeihebeln, aber ohne Umsturz geht das nicht. Der wird jetzt unternommen, aber das Bundesverfassungsgericht wird das nicht zulassen. Dafür verlangt es im Lissabon-Urteil eine neue Verfassung Deutschlands nach Art. 146 GG, die ohne Volksabstimmung nicht geschaffen werden kann.
Verlust an demokratischem Rechtsschutz
Rechtsschutz ist Wesenselement des Rechtsstaates. Der Bürger muss wirksam in seinen Rechten, zumal den Grundrechten, geschützt werden. Seine Rechte müssen dem demokratischen Prinzip gemäss verbindlich erkannt und verwirklicht werden. Das ist Sache des Volkes, die wichtigste; denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Die Gerichte, die das letzte Wort in Sachen des Rechtes haben, müssen darum Organe der Vertretung des Volkes sein. Aber der Grundrechtsschutz ist weitestgehend dem Europäischen Gerichtshof überantwortet worden. Dort hat er nun wirklich keine Stätte. Der Gerichtshof hat erst einen einzigen Rechtsetzungsakt der Union als grundrechtswidrig erkannt, ausgerechnet einen Rechtsetzungsakt, der der Finanzierung des Terrorismus Schwierigkeiten bereiten sollte. Es war der Kadi-Fall im Jahre 2008. Mehr als 50 Jahre lang hat der Gerichtshof keine Grundrechtsverletzungen der Union zu erkennen vermocht. Eine Grundrechtsbeschwerde, wie die deutsche Verfassungsbeschwerde, ist nicht vorgesehen. Insbesondere ist der Europäische Gerichtshof alles andere als demokratisch besetzt. Der griechische Richter etwa, Präsident Vassilios Skouris, hat keinerlei demokratische Legitimation der Deutschen, genausowenig wie die 25 anderen Richter aus fremden Ländern. Nur einer, Thomas von Danwitz, ist Deutscher, aber das reicht nicht, zumal er nicht in allen deutschen Angelegenheiten entscheidet. In den Kammern sitzen mal 3, mal 5 Richter, ein Deutscher muss nicht dabei sein. Die Richter kennen die deutschen Verhältnisse meist nicht, den meisten ist sogar die deutsche Sprache fremd. Es ist nicht leicht, das deutsche Rechtssystem zu verstehen. Das kann man als Deutscher einigermassen, wenn man das Recht studiert und sich viele Jahre damit beschäftigt hat, aber dass irgend jemand aus Bulgarien oder Rumänien oder meinetwegen aus Portugal oder Litauen versteht, was die deutsche Rechtslehre meist aus guten Gründen induziert, ist völlig abwegig. Es gibt keinerlei Legitimationszusammenhang zwischen den Völkern und der Rechtsprechung der Union. Das fundamentale Prinzip der demokratischen Republik: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, ist durch den Integrationismus für wichtigste Staatsaufgaben ruiniert.
Wenn Bürger ihr Recht gegen den Staat vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen wollen, haben sie wenig Chancen. Die grosse Masse der Verfassungsbeschwerden wird gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Wenn es nicht so wichtig ist, kann auch der Bürger einmal einen Prozess gewinnen. Aber es gibt immer wieder wegweisende Entscheidungen, insbesondere wenn das Gericht ohnehin der Politik Grenzen ziehen wollte oder der Öffentlichkeit nicht sichtbare Kräfte, gegebenenfalls ein Kanzler selbst, die Politik korrigieren wollen. Auch der europäischen Integrationspolitik hat das Gericht Grenzen gesetzt, die der weiteren Entwicklung der Union zum Bundesstaat einen Riegel vorschieben. Das Gericht muss zum einen seine Existenz rechtfertigen, sieht sich aber auch seiner eigenen Judikatur verpflichtet, welche die Interpretation des Grundgesetzes in gewisser Weise einengen. Notfalls, wenn das Gericht der Politik nicht in den Arm fallen will, wird dem Bürger schlicht der Rechtsschutz entgegen der grundrechtlichen Dogmatik verweigert, wie den Verfassungsbeschwerdeführern gegen die Einführung des Euro. Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht sich dem Rechtsschutz gegen die Griechenlandhilfe und gegen den Rettungsschirm, die offenkundig vertrags- und verfassungswidrig sind, erneut zu entziehen wagt. Ich denke nicht. Die Rechtlosigkeit dieser Politik ist allzu offensichtlich.
Parteienherrschaft ohne Gewaltenteilung
Die Gewaltentrennung ist eine Essentiale des Rechtsstaates und Konstruktionsprinzip der Demokratie. Die horizontale Gewaltenteilung zwischen der Exekutive, vor allem der Regierung, der Legislative und der Judikative ist im Parteienstaat in Not, erst recht in der internationalistischen Parteienherrschaft. Nicht einmal die Gewaltenteilung zwischen den beiden ersten Gewalten und der Judikative ist auf Unionsebene noch in Ordnung. Die Richter werden für sechs Jahre gewählt, mit einem interessanten Gehalt, etwa 20 000 Euro im Monat. Das ist etwa das dreifache dessen, was ein Bundesrichter verdient. Das ist schon attraktiv für jemanden, der aus Bulgarien kommt, aber auch für einen deutschen Juristen. Das möchte er auch noch weitere sechs Jahre verdienen. Allein schon die Wahlzeit von 6 Jahren schafft Abhängigkeit. Wer setzt die Richter ein? Die Regierungen der Mitgliedsstaaten schlagen den Richter ihres Landes vor. Die anderen stimmen zu. Erforderlich ist das Einvernehmen der Regierungen. Ausgerechnet die Richter, welche die Politik der Regierungen auf die Rechtlichkeit hin kontrollieren sollen, werden von den Regierungen ernannt, die die politische Führung haben. Das schlägt dem Prinzip der Gewaltenteilung ins Gesicht. Das schafft politische Abhängigkeit, vermittelt durch Geld, Macht und Ansehen. Die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts ist im übrigen auch allzu parteienbestimmt. Das republikanische Postulat kann nur sein, dass die Richter keiner Partei angehören. Es müssen die Besten des Faches sein. Wer einmal ein kritisches Wort zu Parteien gesagt hat, hat nie eine Chance, in das Verfassungsgericht gewählt zu werden. Die Verfassungsrichter sind alle abhängig von den Parteien. Jedes politische Lager stellt ein Mitglied in jedem Senat, das nicht Parteimitglied ist. Diese Richter haben die nötige Parteinähe. Es kann vorkommen, dass sie nach der Richterkarriere Ministerkandidaten einer Partei werden.
Was ist zu tun?
Was ist gegen der Verfall Deutschlands und anderer Staaten zu tun? Es gibt in einem Parteienstaat in der krassen Form, wie er sich in Deutschland entwickelt hat, eine gewisse Gesetzlichkeit des Niedergangs. Wir hätten diese Entwicklung nicht, wenn die Besten dem Volk dienen würden. Aber die Parteien lassen das nicht zu.
Es bleibt nur der Widerstand. Das Recht steht in Art. 20 Abs. 4 GG: «Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Bürger das Recht zum Widerstand.» Mit dem Recht ist die sittliche Pflicht jedes Bürgers verbunden. Das Widerstandsrecht ist ein ewiges Recht. Auch wenn es nicht im Grundgesetz stünde, würde es gelten. Die Gewerkschaften haben den Text im Zuge der Notstandsnovelle durchgesetzt. Schon der König in alten Zeiten war des Todes, wenn er nicht eines tat: das Recht verwirklichen.
«Diese Ordnung» ist genau die, die ich erörtert habe, wie sie im Artikel 20 Absatz 1 bis 3 des Grundgesetzes verfasst ist. Man kann von dem einzelnen Bürger nicht mehr verlangen als den Widerspruch. Die Form des Widerstands ist eine andere Frage. Auch eine Klage ist gewissermassen ein Widerstandsakt. Das wichtigste Mittel des Widerspruchs ist die freie Rede. Es ist in Deutschland schwer geworden, aber man muss das Recht der freien Rede, insbesondere als Professor, wahrnehmen. Wenn man das nicht tut, hat man seinen Beruf verfehlt. «Tue das, was du zu tun schuldig bist, in deinem Berufe», fordert uns Martin Luther auf.
* Karl Albrecht Schachtschneider ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg in Nürnberg. Er entwickelt, lehrt und vertritt eine von Immanuel Kants Freiheitslehre sowie den Ideen der europäischen Aufklärung ausgehende und auf Grundlage der Menschenwürde entfaltete Freiheits-, Rechts- und Staatslehre.
Er reichte eine Reihe von Verfassungsbeschwerden beim deutschen Bundesverfassungsgericht ein, die sich jeweils gegen bestimmte Schritte der europäischen Integration richteten, die jeweils zu wegweisenden Fortschritten in der Rechtsklärung führten. Dazu gehören – gemeinsam mit Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty – die Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung des Euros (1998), eine Individualbeschwerde gegen den 1995 erfolgten Beitritt Österreichs zur Europäischen Union vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof (im Auftrag einer österreichischen Interessengruppe, 2008).
Am 7. Mai reichte Schachtschneider gemeinsam mit Joachim Starbatty, Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Dieter Spethmann Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz über die deutschen Hilfszahlungen bei der Bekämpfung der griechischen Finanzkrise 2009/2010 ein. Das endgültige Urteil hierfür steht noch aus.
Karl Albrecht Schachtschneider war Mitglied der SPD, der CDU sowie Gründungsmitglied der 1994 gegründeten Kleinpartei Bund freier Bürger.


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